Kulturgeschichte des Taschentuchs

Vom Luxussymbol zur Wegwerfmarke

Das PapiertaschentuchEs ist kaum vorstellbar, aber historisch verbrieft: Über den längsten Zeitraum ihrer Geschichte schneuzte sich die Menschheit ohne jegliches Hilfsmittel. Niemand fand etwas dabei, wenn sich das Gegenüber mit den Fingern das Körpersekret aus der Nase wischte und anschließend an der Kleidung abschmierte. Und so wirft die Geschichte eines kleinen Alltagsgegenstandes ein erhellendes Licht auf die menschliche Vergangenheit.

Noch im Mittelalter waren gewebte Stoffe wegen ihrer aufwändigen Herstellung so kostbar, dass sie nur für das Notwendigste verwendet wurden. Ein Tüchlein, das allein zum Auffangen der Nasensekrete diente, wurde erst spät erfunden und galt als Zeichen von Reichtum und Standeshoheit.

Baptiste Chambray, ein Weber aus Flandern, stellte um das Jahr 1300 erstmals ein Drapesello panetto di naso her. Als Status-Symbol entwickelte sich das Tüchlein bis über die Grenzen Europas hinaus zu einem kunstvollen Accessoire. Bestickte Spitzentücher wurden unter dem Namen Fazzoletti äußerlich gut sichtbar an der Kleidung angebracht und durften nur von Auserwählten getragen werden. Sultan Mehmed II. Fatih (1432–1481) ging gar so weit, jeden standeslosen Unhold zu köpfen, der es wagte, ein Taschentuch öffentlich zu tragen.

Das Taschentuch war auch ein begehrtes Liebespfand. Wer dieses Liebesgeschenk annahm, drückte damit sein Treueversprechen aus. Kehrten Ritter aus einer Schlacht zurück, hielten sie oftmals das Taschentuch der Angebeteten mit einer Lanze in die Höhe. In Blut getränkt sollte es zeigen, dass der Krieger stets mit der Geliebten im Herzen gekämpft hatte.
Auf diesem Hintergrund erschließen sich auch viele klassische Werke auf neue Weise. So wird klar, warum Othello es seiner Desdemona nicht verzieh, dass sie ein Taschentuch von ihm verschlumpert hatte. Auch lässt sich jetzt besser verstehen, warum in manchen klassischen Porträts Taschentücher überdeutlich betont werden.
Die edlen Tücher waren oftmals die reinsten Kunstwerke, mit aufwändigen Bildstickereien versehen und von feiner Häkelspitze umsäumt.
Damit erklärt sich auch, warum Frauen in früheren Zeiten so viel Erfolg damit hatten, wenn sie ihr Taschentuch fallen ließen. Hob ein Mann es auf, glich das einem Liebesgeständnis für die Besitzerin. Und die musste um das Gelingen des Tricks nicht bangen. Diese Tücher waren einfach zu wertvoll, um sie auf dem Boden liegen zu lassen. In der englischen Sprache ist der Taschentuch-Trick, der Hanky Panky, bis heute fest verankert und hat dort gleich mehrere Bedeutungen. Lesen Sie dazu auch den Artikel „Taschentuchtricks“.

Doch das Schneuztuch war nicht nur ein Objekt zur Kontaktanbahnung. Es war auch ein Utensil der Distanzierung. Wenn Adlige von Untergebenen hofiert wurden, war es eine übliche Geste, sich ein Taschentuch vor die Nase zu halten, um sich vor dem Mundgeruch des Bittstellers zu schützen. Dabei bezeugen Überlieferungen, dass zur damaligen Zeit die Adligen selbst am meisten unter Zahnkrankheiten litten. Mit der Einfuhr des Kakaos hatten sie begonnen Süßigkeiten zu essen, doch wusste man noch nichts von Kariesprophylaxe. So war ihr Taschentuch meist mit Parfüm getränkt und diente damit auch der Kaschierung des eigenen Mundgeruchs.

Um 1785 wurde der mechanisierte Webstuhl erfunden und mit der Exklusivität des Stofftuches war es vorbei. Das aufstrebende Bürgertum konnte sich nun selbst Schnupftücher leisten und viele brauchten diese dringend, denn zu jener Zeit verbreitete sich der Schnupftabak. Auch hatten neue medizinische Erkenntnisse zur Entwicklung eines modernen Hygienebewusstseins beigetragen. In dieser Zeit wanderte das Schnupftuch vom Äußeren der Kleidung ins Innere und wurde zum eigentlichen Taschentuch.

Als Ziergegenstand tauchte es jedoch in einem neu erfundenen Kleidungsstück wieder auf, dem Sakko. Der Sakko ist das Kulturprodukt einer Zeit, als Adel und Bürgertum sich vom Stande her aufeinander zu bewegten. Er verbindet den praktischen Schnitt einer Bauernjacke mit der Förmlichkeit einer Uniform und dem Qualitätsbewusstsein des Adels. So ist es kein Zufall, dass die linke Brusttasche für das Anbringen eines wertvollen Tüchleins reserviert wurde. Doch ließ man das Tuch fortan nicht mehr protzig „heraus hängen“, sondern versteckte es mit dem diskreten Charme der Bourgeoisie als Einstecktuch.

Jenseits davon nahm das Taschentuch als Gebrauchsgegenstand eine rasante Entwicklung. Das Hygienetuch war geradezu prädestiniert dafür, zum ersten Markenartikel der Wegwerfgesellschaft zu werden. Bereits 1894 wurde das erste Zellstofftuch erfunden. Ab 1929 produzierten die Markenfirmen Tempo, Kleenex und Zewa schnell zu entsorgende Tücher, die immer mehr auf ihre jeweilige Verwendungsfunktion optimiert wurden.

Der Klassiker: Das Zehnerpack Zellstofftücher im hygienischen Folienpäckchen hat sich bis heute gehalten. Nun wird auch sein Potential als Vorzeigeobjekt wieder entdeckt.
So werden die Folienpäckchen mit verschiedenen Designs bedruckt, die nicht nur das Interesse von Kindern wecken. Auch als Werbemittel ist das hygienische Papiertaschentuch mit seiner Folienverpackung im Umlauf. Mit überschaubarem Kostenaufwand kann man sich Firmenlogos und andere Botschaften auf eine Edition von Papiertaschentüchern drucken lassen.

Auch als Objekt der erotischen Kontaktaufnahme hat das Taschentuch seine Bedeutung nicht ganz verloren. In bestimmten Kreisen signalisieren Taschentücher die Ausrichtung des sexuellen Interesses.

Weiterhin haben sich Taschentücher als Utensilien für allerlei Tricks und Zaubereien entwickelt. Neugierig geworden? Auf diesen Seiten können Sie noch viel Interessantes über den kleinen Alltagsgegenstand erfahren.

Das Taschentuch

Info

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